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Miniserie Psychoonkologie

10.10.2025

Wissen

Serie Psychoonkologie

Hilfe holen ist Stärke – im Gespräch mit Sibylle Wasserfallen

«Ich muss das alleine schaffen.» Diesen Gedanken kennen viele, die mit einer Krebserkrankung konfrontiert sind – ob als Betroffene oder als Angehörige. Doch es gibt Wege, sich helfen zu lassen. 

Gespräche mit Psychoonkolog:innen, in Selbsthilfegruppen oder mit vertrauten Ansprechpersonen können entlasten – und neue Perspektiven eröffnen. Aber wie findet man den Mut, sich zu öffnen? Und wie weiss man, wann der richtige Zeitpunkt ist? Sibylle Wasserfallen spricht über das, was hilft – und darüber, dass Hilfe holen kein Zeichen von Schwäche ist.

Elena Anghelescu: Als Patient:in fragt man sich oft, ob man überhaupt «schlimm genug» dran ist, um psychologische Hilfe zu holen. Woher weiss man, dass es Zeit ist, mit jemandem zu sprechen?

 

Sibylle Wasserfallen: Es gibt keine feste Regel – Leidensdruck ist wie Schmerz sehr individuell. Und eigentlich ist schon eine Krebserkrankung so existenziell, dass sich die Frage nach «schlimm genug» gar nicht stellt. Ich beobachte aber, dass wir in der Schweiz, gerade wegen unserer vielen Privilegien, oft zurückhaltend sind. Man will ja nicht jammern, anderen geht es ja noch schlechter. Das hemmt das Hilfeholen sehr. Dabei ist es völlig selbstverständlich, sich bei körperlichen Problemen wie Knieschmerzen professionelle Unterstützung zu holen. Oder wir nehmen uns einen Personal Trainer – warum also nicht auch, wenn es um das Innenleben geht?

 

 

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Man willl ja nicht jammern, anderen geht es ja noch schlechter. Das hemmt das Hilfeholen sehr.

E.A.: Angenommen, jemand entscheidet sich für eine Therapie: Wie genau muss man sich den Ablauf vorstellen?

 

Sibylle Wasserfallen: In einem Erstgespräch geht es primär darum, sich kennenzulernen. Niemand muss gleich mit der Tür ins Haus fallen oder alles erzählen. Wir tasten uns Schritt für Schritt voran, schauen auf die aktuelle Situation und sprechen darüber, wo es gerade am meisten drückt. Meist findet man so im Gespräch einen guten Zugang zu den Gefühlen, kann schon einmal ordnen oder definieren, was angepackt werden kann. Mir ist die Beziehung zu meinem Gegenüber sehr wichtig – ich sehe immer zuerst den Menschen. Eine psychologische Diagnose spielt bei einer Krebserkrankung meist keine Rolle.

 

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E.A.: Organisationen wie die Krebsliga bieten auch Selbsthilfegruppen an. Wo liegt der grosse Unterschied – und wem empfehlen Sie was?

 

Sibylle Wasserfallen: Psychotherapie ist ein anderes Umfeld. Eine Psychologin oder ein Therapeut hat viele Werkzeuge und kann im 1:1-Setting individuell auf eine Person eingehen. Eine Selbsthilfegruppe hingegen hat den Vorteil, dass man sich mit anderen Betroffenen austauschen kann – das gemeinsame Erleben schafft Verständnis und oft auch Entlastung. Beides kann sich sinnvoll ergänzen.Wichtig ist mir, dass Betroffene überhaupt externe Hilfe in Anspruch nehmen. Denn was ich häufig beobachte ist, dass Partner:innen oder das enge Umfeld unbewusst zu «Therapierenden» werden. Dadurch entstehen zusätzliche Belastungen in genau den Beziehungen, die eigentlich Halt geben sollten. In einer Therapie können aber gerade auch Partner oder Familienmitglieder einbezogen werden. So lassen sich ihre Sorgen und Fragen in einem neutralen Rahmen besprechen und einordnen – was für alle Beteiligten entlastend sein kann.

E.A.: Was sagen Sie Menschen, die das Gefühl haben, sie müssten das alles «allein schaffen»?

 

Sibylle Wasserfallen: Wenn eine betroffene Person das Gefühl hat, alles alleine stemmen zu müssen, ist das bereits eine Baustelle, bei der man genauer hinschauen sollte. Eine Krebserkrankung ist eine existenzielle Krise – die kann niemand allein bewältigen. Ich vergleiche es gerne mit einem Hausbau: Man baut schlichtweg kein Haus alleine, sondern holt sich Fachkräfte an die Seite und delegiert. Hilfe zu holen ist deshalb kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil – es zeugt von Stärke. Gerade in der Zeit des «Onkosturms», wenn vieles von aussen bestimmt wird – durch Behandlungen und Nebenwirkungen –, kann eine Therapie helfen, wieder Selbstwirksamkeit zu erfahren. Und mit dieser Selbstwirksamkeit gewinnt man ein Stück Positivität und Kraft zurück.

 

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Eine Krebserkrankung ist eine existenzielle Krise – die kann niemand allein bewältigen.

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Wie finde ich eine:n Psychoonkolog:in?

 

Wenn Sie auf der Suche nach einer Psychoonkologin oder einem Psychoonkologen sind, beginnen Sie am besten im direkten Behandlungsumfeld: Ihre Onkologin oder Ihr Onkologe kann oft konkrete Empfehlungen geben. Auch im persönlichen Umfeld lohnt es sich, nach Erfahrungen zu fragen – nicht immer braucht es eine:n Psychoonkolog:in; manchmal ist auch eine Psychologin oder ein Psychologe mit onkologischer Erfahrung passend. Eine weitere Möglichkeit ist die Website der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoonkologie (SGPO), wo eine Liste aller diplomierten und kassenanerkannten Fachpersonen verfügbar ist. Und nicht zuletzt spielt das eigene Bauchgefühl eine wichtige Rolle: Passt die Person auf den ersten Blick? Kann ich mir vorstellen, ihr oder ihm gegenüberzusitzen und Persönliches zu erzählen?

 

Erste-Hilfe-Tipps von der Psychoonkologin

Googeln – aber mit Mass: Suchen Sie Informationen dosiert und nur auf vertrauenswürdigen Quellen. Gerade in sozialen Medien kursiert viel Halbwissen, falsche Fakten und schlicht Gugus.

Kampf neu denken: Sie kämpfen nicht gegen die Diagnose Krebs – Sie kämpfen für mehr Lebensqualität.

Hilfe ist selbstverständlich: Wenn Sie zweifeln, ob Sie Unterstützung brauchen, erinnern Sie sich: Bei einem Meniskusriss gehen Sie auch zum Spezialisten – und verbinden nicht selbst Ihr Knie.

Sie sind nicht allein: Ängste, kreisende Gedanken und Sorgen gehören zu einer existenzbedrohenden Erkrankung. Sie müssen das nicht alleine tragen.

Reden hilft: Ein Gespräch kann ein Fundament schaffen, auf dem Sie aufbauen können – und Sicherheit finden.

Über Sibylle Wasserfallen

Sibylle Wasserfallen wurde im Kanton Zürich geboren und wuchs in einem behüteten Umfeld auf. Nach einer kaufmännischen Ausbildung startete sie ihre Laufbahn in der Kommunikationsbranche. Um ihren 40. Geburtstag herum suchte sie nach einer neuen beruflichen Herausforderung – und erhielt gleichzeitig die Diagnose Brustkrebs. Nach einer erfolgreichen Therapie entschied sie sich für ein Psychologiestudium. Seit 2016 arbeitet sie als selbstständige Therapeutin mit Schwerpunkt Psychoonkologie und ist krankenkassenanerkannt.

sibyllewasserfallen.ch

 

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