Interview mit Molekularonkologe PD Dr. med. univ. Thomas Winder

OZH: «Herr Dr. Winder, die molekulare Testung kann heute einen Tumor genauer bestimmen als bisherige Methoden. Inwiefern unterscheidet sich diese Art der Diagnostik von den herkömmlichen Verfahren?»

Dr. Winder: «Die herkömmlichen Verfahren sind insbesondere in der Lage den Aufbau, das Wachstumsmuster und das Fehlen oder das Vorhandensein von Proteinen im Tumorgewebe nachzuweisen. Die molekulare Diagnostik ermöglicht uns eine Stufe tiefer und somit noch sensitiver Veränderungen im Tumor und auch im Blut nachzuweisen und damit herkömmliche Verfahren massgeblich zu ergänzen. Diese ganz individuellen genetischen Veränderungen im Tumor führen meist zu einem ungehemmten Wachstumsimpuls und können sich auch im Laufe einer Krebserkrankung verändern. Die molekulare Testung ermöglicht es solche Veränderungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer Erkrankung im Tumor oder im Blut nachzuweisen und die Behandlung entsprechend zu adaptieren.»

OZH: «Lassen sich die herkömmlichen Diagnoseverfahren mit der Molekularen Testung verbinden? Oder fallen die älteren Verfahren womöglich in Zukunft weg?»

Dr. Winder: «Die herkömmlichen Diagnoseverfahren werden vorerst bleiben. Der Fortschritt der Technik ermöglicht uns jedoch, ein immer breiter werdendes Spektrum von molekularen Veränderungen zu diagnostizieren. Daraus resultiert ein besseres Verständnis der komplexen Netzwerke die zur Entstehung und zum Fortschreiten einer Krebserkrankung führen können. Ziel muss es sein, die komplexen biologischen Zusammenhänge zu verstehen und damit die Krebserkrankung gezielt zu behandeln.

Bei manchen Krebsarten haben wir dadurch enorme Fortschritte in der Behandlung erzielen können. Deshalb ist die molekulare Diagnostik jetzt schon nicht mehr aus dem klinischen Alltag weg zu denken und wird zukünftig zweifellos noch viel bedeutender werden.»

OZH: «Inwiefern verändert die molekulare Diagnostik die Zusammenarbeit der verschiedenen onkologischen Disziplinen?»

Dr. Winder: «Durch die Molekulare Diagnostik wird die Zusammenarbeit zwischen Pathologen, Molekularpathologen, Biologen, Genetikern und medizinischen Onkologen noch deutlich intensiver. Zudem benötigen wir auch einen intensiven Austausch mit anderen Disziplinen wie etwa der Chirurgie, der interventionellen Radiologie oder den Gastroenterologen, um mehrfach im Laufe einer Krebserkrankung Gewebe vom Tumor zu gewinnen. Dies ist sehr wichtig, da der Tumor in der Lage ist seine molekularen Veränderungen – auch molekulares „Makeup“ genannt – durch die Therapie zu verändern. Deshalb ist eine neuerliche Gewebegewinnung (Tumorgewebe und/oder Blut) und das Wiederholen der molekularen Diagnostik bei Fortschreiten der Tumorerkrankung essentiell, um Resistenzmechanismen aufzudecken und unsere Patienten darauf abgestimmt gezielt behandeln zu können.»

 OZH: «Heisst das, dass die molekulare Testung gesamthaft auch den Weg verändert, den ein an Krebs erkrankter Patient absolviert? Inwiefern nützt ihm das?»

Dr. Winder: «Die Molekulare Diagnostik verändert die Behandlung von Krebspatienten. Krebs ist nicht gleich Krebs und sollte deshalb anstatt einheitlich ganz individualisiert behandelt werden. Wie auch das Aussehen von uns Menschen völlig unterschiedlich ist, hat auch jeder Tumor ganz individuelle Veränderungen. Je nach Vorhandensein einer solchen molekularen Veränderung kann eine zielgerichtete Behandlung des Tumors verwendet werden oder auch nicht. Dies führt zu einer effizienten Therapie unter Vermeidung unnötiger, therapieassoziierter Nebenwirkungen. Wir bewegen uns heute also hin zu einer personalisierten Onkologie»

 OZH: «Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der molekularen Testung: Wie viele Patienten können durch die Testung personalisierte  Therapiemöglichkeiten finden?»

Dr. Winder: «Dies ist abhängig von der Art der Krebserkrankung und dem Zeitpunkt zu dem die molekulare Diangostik durchgeführt wird. Beim Lungenkrebs können beispielsweise rund ein Viertel der Patienten bei Erstdiagnose gezielter behandelt werden. In einer Situation bei der es keine konventionellen Therapieoptionen mehr gibt, kann gemäss unseren eigenen Erfahrungen aus dem Swiss Tumor Molecular Institute bei rund einem Drittel der Patienten eine zielgerichtet behandelbare molekulare Veränderung nachgewiesen werden.»

OZH: «Wo kann  ich mich als Patient oder Patientin melden, wenn ich diese Form der Diagnostik und die Möglichkeit für eine personalisierte Therapie abklären möchte?»

Dr. Winder: «Am besten ist es, dass Patientinnen und Patienten ihren behandelnden Onkologen auf die Massnahme der molekularen Testung ansprechen. Man kann sich aber auch direkt bei uns am Swiss Tumor Molecular Institute melden und einen Termin zur Abklärung vereinbaren.»

OZH: «Vielen Dank für diese Informationen, Dr. Winder.»